©stephanie rothenburg-unz 2012

familie mavrogordato
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Mavrogordato-Wappen der Familie in Chios /Konstantinopel Meine Mutter Irene Unz-Mavrogordato schildert in «Altes Haus am Bosporus» (©Prestel Verlag, München 1986) ihre persönlich erlebte Geschichte im Haus der Familie in Tarabya sowie Erzählungen über die Mavrogordato aus der Sicht von Mary Mavrogordato (1856 - 1956), der älteren Schwester von Nicholas Mavrogordato (1862 - 1931), meinem Grossvater.

1821 verließ mein UrUrgrossvater Demetrius Mavrogordato mit Frau und Kindern die Insel Chios kurz vor oder während des griechischen Befreiungskriegs von 1821 bis 1823 [siehe auch: Christopher Long: The Chios Diaspora  & The Massacres of Chios]. Nach Erzählungen von Tante Mary segelte die Familie mit einem grossen Fischkutter (KAIKI) nach Triest, wahrscheinlich über Cattaro(heute Kotor)in Dalmatien (heute Montenegro)woher meine UrUrgrossmutter, seine Frau Catherina Curtovic stammte, deren Familie Zuflucht bot, bevor die Mavrogordatos nach Livorno (Leghorn) übersiedelten, wo seit Jahrzehnten Familienmitglieder ansässig und als Reeder / Kaufleute tätig waren.

1850 zog mein Urgroßvater Stefanos (Etienne) Demetriou Mavrogordato
(7-9-1808, Smyrna bis 10-5-1872, Therapia)
, in Italien ausgebildeter Bankier mit österreichischer Staatsangehörigkeit und griechisch-orthodoxem Glauben, ins osmanisch-multikulturelle Konstantinopel. Er war einer von elf griechischstämmigen Bankiers, die ab 1840 das Bankwesen des Osmanischen Staates aufbauten und 40 Jahre lang dominierten.

Stefanos M. heiratete in der anglikanischen Kapelle der Britischen Botschaft in Konstantinopel am 29. Januar 1853 die noch minderjährige Alice Fanny Sarell (*1833 - 9-10-1887) aus der englisch-griechischen Familie von Richard Sarell und Euphrosine Rhazi. 1861 wurde das "Mavrogordato evi - Haus Mavrogordato", eine herrschaftliche Villa mit großem Park oberhalb des Dorfes «Therapia» (heute: Tarabya), fertiggestellt und von der Familie bezogen.

Die Schwester von Fanny, Eliza Sarell, war bereits seit vielen Jahren mit dem einflußreichen und überaus vermögenden griechischen Bankier Theodoros Baltazzi(Todoros Baltaci) ebenfalls in Therapia verheiratet. Die Grossfamilie Baltazzi/Baltaci, insbesondere Aristidis Baltazzi/Baltaci - Bankier und Bürgermeister der griechisch-orthodoxen Bevölkerung (Millet) am Bosporus in den 1850er bis 70er Jahren - spielten in der Folgezeit bei den Eigentumsverhältnissen des "Mavrogordato evi" eine dominante, aber sehr komplizierte Rolle. Im Gegensatz zum österreichischen Urgroßvater Stefanos M. war Aristidis B. osmanischer Untertan, sehr reich als Bankier geworden, sehr einflussreich im Serail als zeitweiliger Staatssekretär des Finanzwesirs und rettete, nach dem Bankrott von Stefanos M. im Jahre 1870, das Mavrogordato evi für dessen Familie, in dem er es im Grundbuch (Tapu) formal auf sich umschreiben liess. Da die 12 Kinder von Aristidi B. von all dem nichts wussten, entwickelte sich nach Aristidi B.'s Tod, 1888 in Marseille, eine über 120-jährige Auseinandersetzung über die Besitzverhältnisse.

Das Ehepaar Stefanos und Fanny Mavrogordato hatte elf Kinder - drei Mädchen und acht Jungen. Bis 1920 hatten Familienmitglieder dieser Mavrogordato-Familie entweder die englische Nationalität angenommen - wg. der Herkunft und Verwandtschaft der Mutter - oder waren österreichische Subjekte, nicht nur weil Oberitalien seit der Niederlage Napoleons von der k.u.k Monarchie beherrscht wurde. Schon im 18.Jh. in Chios waren die Mavrogordatos mit österreichischen Laisser-Passez (Schutzpässen) des kaiserlichen Konsuls in Smyrna (Izmir) ausgestattet gewesen. Mit dieser Konstellation ließen sich mögliche Diskriminierungen aufgrund des Minoritätenstatus als Griechen im Osmanischen Reich vermeiden.

Mein Grossvater Nicholas wurde als siebtes Kind am 7.Juni 1862 in Therapia / Bosporus geboren. Nach dem Tod des Vaters 1872 absolvierte er - lt. Mary Mavrogordato - in Berlin seine schulische und technisch-akademische Ausbildung zusammen mit seinem Bruder Theodore, der später in der britischen Kolonialarmee auf Cypern und in Südafrika diente.
Als Diplomingenieur für Brücken - und Tunnelbau trat Nicholas, genannt Nic, schon in den 1890er Jahren in den Dienst der Frankfurter Philipp-Holzmann AG ein und wurde Anfang des 20.ten Jahrhunderts Abteilungsvorstand und leitender Oberingenieur für den Bauabschnitt I im südanatolischen Taurusgebirge beim Bau der legendären "Bagdadbahn". Während der Unterbrechung des Bahnbaus in der Türkei, erhielt er von der Philipp-Holzmann-AG den Auftrag, die Bahntrasse der afrikanischen Tanganjikabahn zu erkunden und voranzutreiben.
Seine Verdienste wurden bis 1918 regelmäßig mit Ordensverleihungen des Sultans, des österreichischen Kaisers und des preußischen Königs ausgezeichnet.
1916 heiratete er in Therapia die deutsche Privatlehrerin Annemarie Mascow (Pyritz / Pommern *21.07.1890 - Berlin Mai 1972) und lebte mit ihr im Bagdadbahn-Stützpunkt Belemedik im Taurus. Während des 1.Weltkrieges wurde im April 1917 im noch osmanischen Konstantinopel meine Mutter Irene (griech. EIPHNH = Frieden) geboren, 1920 ihr Bruder Ralph in Berlin.
In den Wirren des untergehenden osmanischen Vielvölkerstaates übernahm Nicholas Mavrogordato für die siegreichen Allierten die Aufsicht über den Taurusabschnitt der Bahn, während seine Familie freies Geleit nach Konstantinopel erhielt und dann nach Athen übersiedeln konnte. 1919 stellte er in Konstantinopel beim allierten Hochkommissariat den Antrag auf die griechische Staatsangehörigkeit. Auf dem Rückweg in den Taurus wurde er von irregulären türkischen Truppen "gekidnappt". Im Bahnhof von Eskishehir konnte er 1921 fliehen, als er auf Befehl Kemal Atatürks zur Weiterarbeit als Ingenieur für die neue türkische Republik nach Ankara gebracht werden sollte. Nicholas Mavrogordato schloss sich vielmehr den Invasionstruppen der griechischen Armee an und übernahm im griechisch besetzten Smyrna eine hohe Verwaltungsposition. Im grossen Brand von Smyrna am 9.September 1922, der die groß-griechische Invasion beendete, verlor Nicholas M. mit 60 Jahren seinen persönlichen Besitz. Im Unterschied zu vielen anderen Bewohnern Smyrnas gelang ihm die Flucht nach Griechenland. Das Elternhaus in Therapia sowie seine dort lebenden Geschwister konnte er bis zum Ende seines Lebens nicht mehr besuchen.
Ab 1926/27 leitete Nicholas M. die Planung des Bahnbaus Baku - Teheran, während die Familie ab 1925 in Berlin wohnte.
Nicholas M. starb am 6.Mai 1931 in Berlin und wurde dort beerdigt.

 

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